Susanne Hani: Mein Leben ohne Kristina

Eingetragen von Rechtsanwalt Roland Weber MBE am 07. Mai 2007 zum Thema Opfervertretung

Den 28. April 2007 wird Susanne Hani nie vergessen. Es ist der Tag, an dem sie erfuhr, dass es ihr Kind war, dessen Leiche fünf Tage zuvor in einem brennenden Koffer gefunden worden war. Seitdem, sagt die 34-Jährige, “lebe ich nur noch von einer Stunde zur anderen”. Fassungslos, geschockt und manchmal noch immer in der trügerischen Hoffnung, “dass bei der Polizei irgendwas falsch gelaufen ist, dass es plötzlich an der Tür klingelt, und meine Tochter steht davor”.

Kristina war 14. Ein zierliches Mädchen. Hochbegabt. Eine Schulpsychologin hatte einen Intelligenzquotienten von 145 festgestellt. Ein Kind, wie Susanne Hani es mit tränenerstickter Stimme beschreibt, “das gesagt hat, was es denkt - egal, ob es positiv oder negativ war”. Ein Mädchen in der Pubertät, das “an manchen Tagen Bibi-Blocksberg-Kassetten hörte und sich an anderen benahm wie eine schwierige Erwachsene”. Eine Tochter, die unter der Scheidung der Eltern litt, den Vater jeden Sommer im serbischen Novi Sad besuchte und wöchentlich mit ihm telefonierte.
Susanne Hani weiß, dass Kristina manchmal auch Drogen probierte. “Sie hatte mir aber versprochen, nichts mehr zu nehmen.” Und sie war hilflos, wenn die Tochter, ohne vorher Bescheid zu geben oder sich zu melden, bei einer Freundin übernachtete. “Da halfen dann auch Drohungen oder Strafen nicht.” Aber sie hatte immer das Gefühl, dass Kristina “etwas ganz besonderes” ist. Ein Mädchen, das an keinem Bettler vorbeilaufen konnte, ohne ihm etwas in den Korb zu werfen; das möglichst jeden Hund streicheln musste, das mit allen zurechtkam. “Man musste sie einfach lieben!”


“Sie findet sich schon wieder an”

Zum letzten Mal gesehen hatte sie Kristina am Sonntag, dem 22. April. Am Montagmorgen lag das Mädchen nicht in seinem Bett. Da hatte sich Susanne Hani noch nichts dabei gedacht. Die Tochter hatte ja öfter mal bei Freundinnen übernachtet. Sie kam dann aber auch am Montag nicht nach Hause. Susanne Hani telefonierte herum, befragte Schulkameradinnen. Am Dienstagabend ging sie zur Polizei. Dort gab es eher beruhigende Auskünfte: Die Tochter würde sich schon wieder anfinden, das zeige die Erfahrung. Direkt nach ihr gesucht werden könne jetzt noch nicht. Aber man werde sich melden, sobald es eine Information gebe.
Es kam keine Meldung. Zunächst jedenfalls noch nicht. Was in den nächsten Tagen folgte, hat vermutlich viel mit Verdrängung zu tun. Als Susanne Hani am Mittwoch aus ihrem Laden kommt, sieht sie einen Polizeiwagen durch den Kiez fahren. Sie hört eine undeutliche, durch ein Megaphon verstärkte Stimme. Ihr Sohn erzählt ihr später, dass Zeugen wegen eines verbrannten Mädchens gesucht werden, das im Park an der Thomashöhe gefunden worden war. “Da habe ich noch gedacht, oh Gott, wie grausam, die armen Eltern.” Es folgt der Donnerstag. Susanne Hani ist fast krank vor Angst wegen des Verschwindens der Tochter, aber innerlich noch immer nicht bereit, den Mordfall mit Kristina in Zusammenhang zu bringen.
Zeitungen berichten über das verbrannte Mädchen. Und sie informieren über Ohrringe, die das Opfer trug. Es gibt eine Internetadresse. Abends schaut sich Susanne Hani auf dem Computer ihres Sohnes die Fotos an. Es sind Ohrringe, wie sie auch in ihrem Laden verkauft wurden. Sie denkt in diesem Moment nicht daran - oder will es einfach nicht wahrhaben, dass auch Kristina Ohrringe mit diesem Aussehen besaß. “Ich dachte, vielleicht kann ich helfen. Nur darum habe ich am nächsten Tag bei der Polizei angerufen.”
Beamte der Mordkommission kommen in ihren Laden. Sie nehmen eine Speichelprobe. Susanne Hani wird aufs Revier gebracht und vernommen, fast drei Stunden lang. Anschließend wollen die Beamten Kristinas Zimmer sehen. Sie packen Kleidungsstücke ein. Sie sagen, der Test dauere etwa 24 Stunden.

Grauenhafte Gewissheit
Dann folgt der Sonnabend. Gegen zehn Uhr klingelt es bei Susanne Hani an der Wohnungstür. Und sie erfährt, wer das Kind in dem Koffer war. “Seitdem”, sagt sie, “ist alles anders.”
Die zierliche Frau, die ihrer Tochter so verblüffend ähnlich sieht, hat auf den Rat der Kriminalbeamten gehört. Sie hat sich abgeschottet, meidet Zeitungen, schaltet einschlägige Sendungen im Fernsehen sofort ab. Im Internet - “es gibt schon drei Seiten nur für Kristina” - liest Susanne Hani die zahllosen Beileidsbekundungen. “Manche kommen sogar aus Australien.” Sie war “tief gerührt”, als am 29. April mehr als 500 Bewohner ihres Kiezes in Neukölln für Kristina schweigend durch die Straßen marschierten. Die Ur-Berlinerin, geboren in Moabit, weiß dennoch nicht, ob sie in der Stadt bleiben wird. Einerseits will sie ihre Wohnung nicht aufgeben. “Kristinas Zimmer ist immer noch, wie es war”, begründet sie ihre Unschlüssigkeit. ” Ich habe das Gefühl, wenn ich ausziehe, dass ich sie da drin lasse.” Andererseits hat sie Angst um ihren 15-jährigen Sohn, der sie “nach Kräften unterstützt”, aber ebenfalls noch immer traumatisiert ist. “Er will seinen Alltag wiederhaben.”
Susanne Hani hat den Alltag verloren. Sie spricht von einem “Albtraum, der nicht enden will”; berichtet von dem täglichen Aufwachen, wenn ihr nach kurzer Irritation schmerzhaft bewusst wird, dass es kein Traum ist, dass Kristina nicht mehr lebt. Und von den schrecklichen Bildern, die ihr abends vor dem Einschlafen durch den Kopf geistern. “Da sehe ich, was die mit meinem Kind anstellen, und kann es nicht verdrängen.”

Die Kraft verloren
Das kleine Geschäft für Modeschmuck in der Neuköllner Hermannstraße hat sie aufgegeben. Die ehemalige Altenpflegehelferin hatte es erst im November vergangenen Jahres eröffnet. Es sei ein Kampf gewesen, vor allem die erste Zeit, halbwegs über die Runden zu kommen, sagt sie, “aber jetzt habe ich nicht mehr die Kraft”. Was sie treibt, ist die Suche nach den Mördern. Sie will helfen, möchte die Summe für Hinweise, die zu den Tätern führen, möglichst erhöhen. Dafür bittet sie um Unterstützung. “Für 5000 Euro, die es bislang gibt, wird von denen wohl keiner den Mund aufmachen.” (Wer helfen will, kann sich an Frau Hanis Anwalt Roland Weber von der Rechtsanwaltskanzlei Weber, Preuß, Lehmann in Berlin wenden, Tel.: 44 01 77 12)
Und sie plant eine große Beerdigung. Es gibt noch keinen konkreten Termin. Auch einen Friedhof hat Susanne Hani noch nicht ausgesucht. Sicher ist jedoch schon heute, dass “alle Freunde und Bekannten kommen sollen. Alle Menschen”, sagt Susanne Hani, “die Kristina mochten und die jetzt um sie trauern.” Und es soll Musik zu hören sein vom Rapper Sintakk, der mit Kristina befreundet war und für sie ein Lied geschrieben hat. “Ein Abschiedslied”, sagt Susanne Hani, “für einen einzigartigen Menschen”.

Montag, 7. Mai 2007 04:00 - Von Michael Mielke


Beitrag erschienen in: Berliner Morgenpost

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